Coming Out und Side by Side zu Gast in Hamburg
Als eine der ersten russischen Regionen verabschiedete St. Petersburg ein Antihomosexualitätsgesetz, um Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LSBT) aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Ein offenes Leben ist zumeist nicht mehr möglich. Schweigen! Auf der Arbeit, der Straße, in der Familie, an der Universität. Die Einschüchterung und Kontrolle von LSBT ist Teil einer umfassenden russischen Politik gegen demokratisches Engagement und eine kritische Zivilgesellschaft. Kein Wunder, dass immer mehr Russinnen und Russen überlegen, das Land zu verlassen.
So erzählen es die sieben Aktivistinnen und Aktivisten der zwei St. Petersburger Organisationen Coming Out und Side by Side bei ihrem diesjährigen Besuch im Hamburger Rathaus. Ermöglicht haben den Besuch der LSVD Hamburg und die finanzielle Unterstützung von Seiten der Hansestadt Hamburg und der Stiftung„Deutsch-Russischer Jugendaustausch“. Seit Jahren steht der LSVD Hamburg im Rahmen der Städtepartnerschaft mit beiden Organisationen in engem Kontakt, sammelt Spenden und erhielt für dieses internationale Engagement jüngst den Pride Award vom CSD in Hamburg. Es ist folglich schon eine Tradition, dass die jungen Gäste nach der Hissung der Regenbogenflagge am Hamburger Rathaus Abgeordnete aus der Hamburger Bürgerschaft über die neusten Entwicklungen informieren. Und was sie Philipp-Sebastian Kühn (SPD-Fachsprecher für Lesben und Schwule), Farid Müller (schwulen– und lesbenpolitischer Sprecher der Grünen Bürgerschaftsfraktion) und Robert Bläsing (FDP) berichteten, hört sich nicht gut an.
Seit der Einführung des Gesetzes reißen die Schikanen und Behinderungen nicht ab. Vor knapp einer Woche wurde „Coming-out“ zusammen mit weiteren NGOs von den Behörden als „ausländischer Agent“ eingestuft. Diese Registrierung ist der soziale Tod, denn sie führt zu einem zusätzlichen massiven Imageproblem in Zeiten, in denen russischer Nationalismus immer mehr die Gesellschaft durchsetzt. Zugleich passt es in die Argumentation von offizieller Seite, dass Homosexualität nicht „russisch“ sei, sondern vom Ausland und insbesondere vom Westen importiert werden würde. In ihrer Presse– und Öffentlichkeitsarbeit müssen Coming Out ab sofort immer auf diese Registrierung hinweisen, andernfalls droht eine Strafe. Jederzeit kann es nun zu Inspektionen durch die Polizei und Justiz kommen, eine Meldung oder ein Hinweis aus der Bevölkerung reicht. Über jede Geldsumme von über 4.000€ muss ab sofort ein Bericht erstellt werden, ansonsten drohen bis zu zwei Jahre Gefängnis. Den russischen Zuständigen für Menschenrechte ist es zudem untersagt, mit „ausländischen Agenten“ zu sprechen oder gar zu kooperieren. Doch nur dem Zuständigen in St. Petersburg in diesem Jahr war es zu verdanken, dass der CSD, abgezäunt und von der Polizei bewacht, ohne große Vorkommnisse und gewalttätige Übergriffe stattfinden konnte. Es ist überdeutlich: LSBT sollen weiter isoliert werden. Und eine Neugründung ist schwierig. Zurzeit überlegt man vor Ort, ob Coming Out als eine andere rechtliche Form fortbestehen könnte oder aber eine Registrierung in einem der benachbarten Ostseestaaten die bessere Option ist.
Auch Side by Side, die Organisatoren des jährlichen queeren Filmfestivals, wurde bereits als ausländischer Agent eingestuft. Sie hatten sich jedoch von Anfang an sowohl als NGO als auch als GmbH gegründet. Als kommerzielle Organisation sind sie nun vor einer erneuten Registrierung geschützt. Das hindert die Behörden jedoch nicht, ihnen weitere Steine in den Weg zu legen. Laut einem neuen Gesetz braucht nun jeder gezeigte Film die Lizenz der Kulturbehörde. Bereits zuvor war es schwierig, Kooperationspartner und Räume für die Filmaufführungen zu finden. Während des Festivals kam es immer wieder zu anonymen Bombendrohungen, die die Vorstellungen unterbrachen und das Unsicherheitsgefühl der Teilnehmenden massiv verstärkten. Zwar gibt es internationale Unterstützung wie die Förderung durch das Deutsche Konsulat 2013. Doch dieser Rückhalt ist zwiespältig, legitimiert er doch zum einen die Einstufung als ausländischer Agent und den Vorwurf, dass Homosexualität vom Ausland finanziert wird. Daher ist das mögliche Angebot, die Räume des Konsulats als Aufführungsort zu nutzen, um etwa die nun notwendige Lizenz zu umgehen, nur eine absolute Notlösung.
Das Gesetz und die weit verbreitete Stigmatisierung verhindern auch eine breite und effektive HIV/AIDS-Prävention. Die St. Petersburger Organisation La Sky bekommt seit Mai keine öffentlichen Gelder. Nur in fünf der über 80 russischen Regionen gibt es überhaupt Präventionsarbeit, die auch MSM anspricht. Vielmehr wird eine Beratung verweigert, wenn jemand als offen schwul oder bisexuell auftritt. Diese unzureichende Aufklärung führt zu der absurden wie gefährlichen Annahme, dass HIV/AIDS gar nicht existent ist. In diesem Punkt sind sich dann sogar einige LSBTs mit Vertretern der russisch-orthodoxen Kirche einig. Nach wie vor ist die Versorgung mit Medikamenten mit umgerechnet 400,-€ im Monat viel zu teuer für ein Großteil der HIV-Positiven. Viele zögern eine Behandlung daher so lang wie möglich hinaus.
Aber wie können LSBT in St. Petersburg von Deutschland aus überhaupt unterstützt werden? Erster Schritt: „Do your homework“ – nur wenn Deutschland selbst die volle Gleichstellung politisch umsetzt, kann es als moralisch integerer Partner die Situation in Russland kritisieren. Überhaupt gilt es lauter, öfter und dominanter auf politischer Ebene Druck zu machen und demokratische Werte einzufordern. Alle Aktionen in Deutschland sollten mit den Projekten vor Ort abgestimmt werden, ob man sie dort als sinnvoll ansieht oder ob sie den Aktiven vor Ort gar schaden könnten? Große Hoffnungen sieht man in der Begegnung. Zahlreiche Russinnen und Russen kommen jedes Jahr im Rahmen von Austauschprogrammen nach Deutschland, sei es für ein soziales Jahr oder zum Studieren. In den Austauschprogrammen sollte die Begegnung mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland und darunter auch LSBT-Organisationen Bestandteil werden. Der persönliche Kontakt außerhalb Russlands könnte zu einem ersten Umdenken führen, einem anderen Bild von LSBT als dem, was täglich von russischen Medien, Politik und Kirche gepredigt wird. Auch der Aufenthalt im Zuge der Städtepartnerschaft hat einen wichtigen Einfluss auf die Community vor Ort. Doch das ist einer der Streitpunkte. Alle zwei Jahre wird der Inhalt der Städtepartnerschaft neu ausgehandelt, wird entschieden, welche gemeinsamen Projekte man auf den Weg bringen will. Momentan gibt es keine Einigung. Weil man sich bislang auf keinen gemeinsamen Vertragstext und die Teilnahme aller beteiligten Projekte einigen konnte, besteht die Städtepartnerschaft zwar fort, wird aber ohne Memorandum gelebt.
Mit der Isolation der Zivilgesellschaft isoliert sich Russland immer mehr.
Markus Ulrich
LSVD-Bund-Länder-Koordination
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