Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des LSVD Hamburg und des seit 10 Jahren bestehenden Fachkräfteaustausches mit St. Petersburg hat Hamburgs Senat die Arbeit des LSVD mit einem Senatsempfang gewürdigt. Den Landesvorsitzenden Barbara Mansberg und Wolfgang Preussner wurde die „Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes“ verliehen. Rede von Gabriela Lünsmann (LSVD-Bundesvorstand) zum Senatsempfang am 22.10.2021.

Gabriela Lünsmann (LSVD-Bundesvorstand) Senatsempfang Hamburg - LSVDSehr geehrte Frau Senatorin Fegebank,
liebe Barbara, lieber Wolfgang,
liebe Mitstreiter:innen,

ich freue mich und es ist mir eine Ehre hier heute als Vertreterin des LSVD-Bundesvorstands und als Hamburgerin anlässlich des 25. – genau genommen aufgrund der pandemiebedingten Verschiebung dieses Senatsempfangs nunmehr des 26. – Jubiläums des LSVD Hamburg das Wort an Sie und euch zu richten.

 

Wie kaum in einem anderen Landesverband des LSVD seid ihr Barbara und Wolfgang seit langer Zeit das Gesicht des LSVD Hamburg.

Ihr seid immer da! Ihr organisiert seit Jahren den jährlichen Rainbowflash auf dem Rathausmarkt am 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie. Ihr seid da, wenn Hamburg Flagge zeigt und zum CSD die Regenbogenfahne auf dem Rathaus gehisst wird.

Du Barbara bist jedes Jahr beim Dyke March.

Ihr seid auf der Pride Parade und beim CSD Straßenfest – fast immer zusammen mit den Gästen aus St. Petersburg.

Ihr seid beim Regenbogenfamilientag.

Ihr schenkt beim Winterpride jedes Jahr einen Tag lang Glühwein aus – auch ich hatte schon das Vergnügen, dabei zu sein.

Natürlich seid ihr bei der LAG Lesben und Schwule dabei.

Auch seid ihr dabei in den Bündnissen gegen Rechts, wenn es darum geht, sichtbar zu sein gegen Nazis und darum, die Hamburger Stolpersteine von Lesben und Schwulen zu polieren und die Erinnerung an diese Menschen lebendig zu halten.

Ihr seid beim Runden Tisch für LSBTIQ+ Geflüchtete.

Und ihr seid beim Regenbogenparlament.

Und wenn die Mitgliederversammlung des LSVD Hamburg stattfindet, habt ihr auch noch Kuchen für alle dabei.

Ihr habt einen langen Atem und ihr habt viel erreicht!

Ich konnte nur einige Beispiele für euer so umfangreiches und ausdauerndes Engagement nennen und sicher sind jetzt weitere wichtige Ereignisse unter den Tisch gefallen

Ihr habt zur Recht viele Auszeichnungen für eure Arbeit erhalten; der Pride Award von 2014 und der Gewinn des Wettbewerbs Aktiv für Demokratie und Toleranz 2019 für eure Menschenrechtsarbeit für St. Petersburg sind nur zwei Beispiele dafür. Heute ist eine weitere verdiente Auszeichnung dazugekommen.

Der unglaubliche Einsatz, mit dem ihr seit 11 Jahren die Jugendbegegnung und den Fachkräfteaustausch mit St. Petersburg betreibt ist dabei ein wirklicher Leuchtturm der Arbeit des LSVD Hamburg.

Mit St. Petersburg und damit Russland habt ihr keinen einfachen Austauschpartner gewählt. Die Bedingungen für diese Arbeit sind in Russland in den vergangenen Jahren leider nicht besser, sondern schlechter geworden. Eure Austauschpartner:innen haben zunehmend mit der Repression zu kämpfen, der LSBTIQ+ Organisationen in Russland durch Kriminalisierung und strukturelle Diskriminierung ausgesetzt sind. Die rigide staatliche Sanktionierung von finanzieller Unterstützung aus dem Ausland gilt auch euren Partner:innen. Diese Politik trifft LSBTIQ+ Organisationen, aber sie trifft auch jede einzelne Lesben, jeden Schwulen, jede trans* Person, jeden queeren Jugendlichen – und genau das ist ja auch intendiert. Die hiergegen ergangenen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassbourg beeindrucken Russland dabei kaum.

Dass der LSVD Hamburg unter diesen Bedingungen mit den Partner:innen in St. Petersburg insbesondere die Jugendbegegnung und den Fachkräfteaustausch nachhaltig sichert ist unglaublich beeindruckend. Wer einmal die Chance hatte, mit nach St. Petersburg zu fahren, oder mit den Jugendlichen beim CSD in Hamburg auf dem Straßenfest zu sprechen, bekommt eine Idee davon, wie wichtig diese Reisen sind. Gerade in der Jugendarbeit ist jeder noch so kleine Schritt ein Fortschritt.

Man muss aber nicht Russland bemühen, um Demokratiedefizite für LSBTIQ+ zu entdecken.

Der Blick nach Ungarn und Polen zeigt auch innerhalb der Europäischen Union antidemokratische Entwicklungen, die LSBTIQ+ im Fokus haben. Das mahnt uns daran, dass die Fortschritte bei der Gleichstellung von LSBTIQ+, die wir in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren erkämpft haben nicht garantiert sind, dass nichts jemals „for granted“ ist. Vielmehr müssen diese Errungenschaften immer wieder verteidigt werden.

Ein Ausdruck des Fortschritts der letzten Jahrzehnte ist aber bereits die Tatsache, dass wir heute hier im Rathaus feiern. Denn kaum hätte ich mir Mitte der 80er Jahre als Junglesbe nach dem Coming-out vorstellen können, 30 Jahre später hier an dieser Stelle zu sprechen.

Es ist viel erkämpft worden in den letzten Jahrzehnten:

Die Hamburger Ehe war 1999 der symbolische Vorläufer der Einführung der Lebenspartnerschaft im Jahre 2001. Dann brauchte es noch einmal 16 Jahre und viele Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen bis zur Öffnung der Ehe im Jahr 2017.

Der LSVD als Bundesverband war an dieser Entwicklung durch strategische Prozessführung maßgeblich beteiligt.

Auch der Weg zur Rehabilitierung der aufgrund des § 175 Strafgesetzbuch Verurteilten war lang und steinig. Erst 1994 erfolgte die endgültige Streichung der Norm und es brauchte weitere Jahre bis 2002 eine erste Teilrehabilitierung durch die Aufhebung eines Teils Unrechtsurteile erfolgte. Schließlich gingen dann nochmal 15 Jahre ins Land, bis es 2017 zu einer auch lediglich symbolische Entschädigungsregelung kam.

Aber es bleibt immer noch viel zu tun.

Dieser Aufforderung richtig sich natürlich auch an Sie Frau Senatorin Fegebank, denn politische Erfolge brauchen im föderalen System nicht nur eine bereitwillige Bundesregierung, sondern es müssen auch die Bundesländer am selben Strang ziehen.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland konnten wir vor wenigen Tagen im Sondierungspapier der mutmaßlichen zukünftigen Koalition zentrale Forderungen unserer politischen Arbeit wiederfinden. Von 11 Seiten Sondierungspapier galt eine ¾ Seite queerpolitischen Themen.

Das ist neu. Und das ist zunächst natürlich nur eine Absichtserklärung. Aber es ist eine Absichtserklärung, an der sich eine zukünftige Regierung messen lassen muss.

Baustellen gibt es genug!

Die letzten vier Jahre waren für Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen auf vielen Feldern eine Wahlperiode der verpassten Chancen.

2021 kann und muss nun einen queerpolitischen Aufbruch bringen. Es gibt nach der Lähmung während der letzten Legislaturperiode drängende Aufgaben.

Menschenfeindliche Ideologien wie Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Islamismus, Sexismus, Homophobie oder Transfeindlichkeit leugnen, dass alle Menschen mit gleicher Würde und gleichen Rechten ausgestattet sind. Diese verschiedenen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind auf das Engste miteinander verwoben.

Deshalb gilt es, jede Form von Diskriminierung, Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit gemeinsam, solidarisch und konsequent anzugehen. In unserem Land müssen alle frei und sicher leben können.

Seit Jahrzehnten ist die Reform des Transsexuellenrechts aufgrund seiner Verfassungswidrigkeit überfällig. Die Verwirklichung der Menschenrechte für trans- und intergeschlechtliche Menschen duldet keinen Aufschub mehr. Das diskriminierende Transsexuellengesetz muss zugunsten eines Selbstbestimmungsgesetzes abgeschafft werden.

Ein weiteres drängendes Problem ist die Situation von Regenbogenfamilien, die auch vier Jahre nach der Ehe weiter rechtlich diskriminiert werden. In 2-Mütter-Familien muss die automatische Anerkennung beider Eltern von Anfang an im Abstammungsrecht gesetzlich geregelt werden. In allen anderen Konstellationen muss eine gesetzliche Regelung die Interessen von Müttern und Vätern gleichermaßen berücksichtigen und zum Ausgleich bringen. Schließlich bedarf es der Regelung für eine Elternschaftsvereinbarung vor der Zeugung, in der die Beteiligten ihr Verhältnis zueinander und zu dem Kind rechtlich verbindlich gestalten können. Für diese Bereiche liegen längst Gesetzesvorschläge vor. Sie können und müssen nun unverzüglich umgesetzt werden.

Und schließlich muss endlich das Grundgesetz in Artikel 3 ergänzt werden. Das Grundgesetz ist 72 Jahre alt. Bis heute fehlt im Gleichbehandlungsartikel unserer Verfassung ein ausdrücklicher Schutz vor Diskriminierung für LSBTIQ+. Für diese Ergänzung müssen alle demokratischen Parteien an einen Tisch gebracht werden, um die erforderliche 2/3-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat zu erreichen.

Um das Ziel einer vielfältigen Gesellschaft zu erreichen, in der alle Menschen sicher leben können, braucht es auch auf Bundesebene einen Aktionsplan für Akzeptanz und gegen Hasskriminalität.

Fünfzehn Bundesländer haben bereits solche Aktionspläne; darunter auch Hamburg mit dem Aktionsplan des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg für Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt aus dem Januar 2017.

Ein solcher Aktionsplan muss von der gesamten Bundesregierung unter Beteiligung der Zivilgesellschaft, insbesondere von LSBTIQ+-Organisationen, erarbeitet werden.

Einen speziellen Aktionsplan braucht es, damit die Bekämpfung von LSBTIQ+-feindlicher Hasskriminalität endlich einen angemessenen Stellenwert in der Kriminalpolitik bekommt. Insbesondere bedarf es der expliziten Aufnahme von LSBTIQ+-feindlichen Motiven in die strafrechtlichen Bestimmungen gegen Hasskriminalität.

Es geht dabei um nicht weniger als Demokratiesicherung. Eine freie, vielfältige und sichere Gesellschaft für LSBTIQ+ ist eine freie, vielfältige und sichere Gesellschaft für alle Menschen.

In diesem Sinne wünsche ich euch Barbara und Wolfgang alles Gute für eure weitere Arbeit und sage DANKE!

Gabriela Lünsmann
LSVD-Bundesvorstand

(Es gilt das gesprochene Wort)

Hintergrund

Die „Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes in Bronze“ wird vom Senat an Menschen verliehen, die sich in hervorragender Weise um das Gemeinwohl verdient gemacht haben. Seit nunmehr 14 Jahren setzen sich Barbara Mansberg und Wolfgang Preussner ehrenamtlich für die Gleichstellung von LSBTI* ein und leisten mit ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit einen unschätzbaren Beitrag für Menschenrechte.